Die letzten Stammesfahrten waren geprägt von weniger Höhenmetern und kürzeren Etappen. Also fassten ein paar Jungrover den Entschluss: „Wir wollen mal eine Extremfahrt machen.“ So richtig auspowern.
Die Pyrenäen fielen wegen der knappen Zeit und ungünstiger Anreise weg. Also kam die Idee auf, den West Highland Way in Schottland zu gehen. Warum gerade dorthin?
Das ist schnell erzählt: Vor einigen Jahren hatte unser Stamm den berühmten Fernwanderweg schon einmal in Angriff genommen. 2006 kamen wir bis Beinglas Campsite und mussten verletzungsbedingt aussteigen (s. Verweis auf diesen Artikel). Ausgerechnet auf dem anspruchsvollsten Abschnitt. Dort sollten wir nicht die einzigen bleiben, deren Reise hier endete – doch dazu später mehr.
Schade war es allemal, denn genau in dem Moment, als die Highlands landschaftlich so richtig „high“ wurden, mussten wir damals aufgeben. Also: Warum nicht dort wieder anknüpfen und die Challenge zu Ende bringen?



Vorbereitung: Nichts dem Zufall überlassen
Bestes Mückenspray, bestes Mückennetz, ein Erste-Hilfe-Kurs bei einem Mitglied unseres Nachbarstamms in Michelbach, Kartenstudium. Von oben sah die Strecke herausfordernd aus: Ab Tyndrum verschwindet zunehmend die Baumgrenze, was für uns bedeutete: kein Material für Kohtenkreuz oder Einbein.
Und wie stellt man in Moor und Heide, deren Boden einem vollgesogenen Schwamm gleicht, überhaupt eine Kohte auf? Würden die Heringe halten? Gab es Alternativen?
Gewichtsoptimierung, Streckenplanung: Wir überließen wenig dem Zufall. Selbst die Route stand fest, untypisch für eine klassische Fahrt. Normalerweise wählt man nur grob ein Gebiet, startet und lässt die Karte vor Ort entscheiden. Aber es hat auch seinen Reiz, einfach mal den Kopf etwas ausschalten und Strecke machen zu können.
Insgesamt rund 90 km reine Gehstrecke in acht Tagen (inklusive An- und Abreise) lagen vor uns – mit 15 bis 20 kg Gepäck auf den Schultern.



Bevor wir auf den WHW einstiegen, hielten wir uns noch westlich des Loch Lomond Richtung Norden, in der Hoffnung, den berühmten See aus Liedern und Geschichten in seiner ganzen Schönheit zu erleben.
In Wirklichkeit waren wir vor allem mit dem Überleben und dem Schutz unserer Zehen beschäftigt. Der einzige direkte Weg führte entlang einer Autostraße. Eine Mitarbeiterin aus dem nächstgelegenen „Takeaway Cafe“ in Tarbet hatte uns gewarnt: „If you want to hike, you need a car.“ Wir lernten schnell, dass „Seitenstreifen“ in Schottland kein Standard sind. Anfangs lockte noch ein Gehweg, dann folgte die bittere Wahrheit: Eine viel zu enge Straße, die nur für Autos gedacht ist.
Wir sprangen über Leitplanken, drängten uns auf winzigen Randstreifen, beteten um Platz für unsere Füße. Zwischen Autoteilen und gesplitterten Seitenspiegeln sammelten wir unser erstes sportliches Tagespensum. Der Name „Extremfahrt“ war schon hier Programm.
Das ist eben das Wesen einer Fahrt: Man kann Vieles planen – vor Ort gilt es, sich den Gegebenheiten anzupassen.
Unerwartete Begegnungen
Am Tagesziel konnten wir endlich die Imposanz des Loch Lomond bestaunen. Während wir an einer Schutzhütte unser Reisgericht kochten, tauchte plötzlich ein Boot auf – mit Gestalten wie aus einem U-Boot-Film. Gelbe Anzüge, viele Schnallen, und einen verletzten Wanderer im Gepäck.
Das Rescue-Team hatte ihn genau aus der Etappe geholt, in der wir 2006 ebenfalls gescheitert waren. Der Mann hatte eine Kopfverletzung. Die Szene war skurril: sechs Pfadfinder futtern Reis, während die „U-Boot-Fahrer“ auf den Krankenwagen warten.
Am nächsten Tag trafen wir den Texaner wieder. Er war selbst Pfadfinder gewesen und erzählte von seinem Vater, für den die Pfadfinderei viel bedeutet hatte. Zum Abschied schenkte er uns eine „Challenge Coin“ seiner Reise. Sie wurde unser treuer Begleiter: Wann immer wir unentschlossen waren, durfte die Münze entscheiden. Und sie tat es stets zu unserem Besten.
Diese Anekdote steht sinnbildlich für die Magie und den Zauber einer echten Fahrt, die man nur begreifen und erfahren kann, wenn man sich selbst auf dieses Abenteuer eingelassen hat: Begegnungen und Momente, die man nicht planen kann, die einen überraschen und bereichern – weil man offen ist für das, was der Augenblick bringt.



Ab Beinglas stiegen wir also endlich wieder in den WHW ein. Anfangs säumten Erlen und Farn den mit glitzerndem Quarz geschmückten steinigen Weg, unterbrochen von kleinen Wasserfällen und moorigen Flüsschen.
Oberhalb der Baumgrenze gewannen Heidekraut und Moos die Oberhand; am Ende setzten sich Weidenröschen und die stolze schottische Distel durch. Die mystischen, teils nebelverhangenen grünen Hügel wurden immer zahlreicher und höher, die Anstiege dafür länger. Belohnt wurden wir mit fantastischen Aussichten, Regenbögen und dem Gefühl, es geschafft zu haben.



An den Etappenzielen versorgten wir uns mit Wasser und Vorräten und fanden jeden Abend einen passenden Kohtenplatz. Wahrscheinlich waren über die Jahre künstliche Zeltplätze angelegt worden, um den vielen Wanderern Schutz zu bieten. Ein Glück! Unsere Kohte war unser Rückzugsort vor den Midges, dem einzigen wirklichen Wermutstropfen.
Diese winzigen Plagegeister waren zahlreich, erbarmungslos und überall. Wenn wir pausieren wollten, trieben sie uns weiter – oft direkt nach der Ankunft, spätestens aber nach 15 Minuten. So mancher Kilometer ging nur auf ihr Konto. Ein Barkeeper in Kingshouse brachte es auf den Punkt: „You can’t have it all.“
Starker Wind wurde unser bester Freund, denn er hielt die bissigen Biester fern.
Am siebten Tag erreichten wir pünktlich unser finales Fahrtenziel mit der offiziell letzten Etappe des West Highland Way: Fort William. Dort erledigten wir alles Nötige und trafen am Busbahnhof eine andere BdP-Gruppe, die weniger Glück gehabt hatte. Wir halfen mit Ratschlägen zu Bustickets, Süßigkeiten und Proviant aus.



Es war eine Fahrt voller Gegensätze: Grandiose Landschaft, extreme Mückenplagen, große Anstrengungen, köstliches Essen, viele kleine und große Momente, die uns in Erinnerung bleiben werden. Und eine Gruppe, die jede Herausforderung mit guter Laune meisterte. Viele dieser Erlebnisse haben wir in unserer Fahrtenchronik niedergeschrieben: Der Ort, an dem die Magie solcher Fahrten lebendig bleibt. Am achten Tag flogen wir heim – mit müden Beinen, noch müderen Köpfen, aber einem Herzen voller Erinnerungen.
